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Berggeschichten vom Manaslu - Die Mühe wird belohnt- Tag 6 (Namrung - Loh)

Heute morgen fällt das Aufstehen schwer... so gemütlich ist es, den Schlafsack noch einmal bis zur Nasenspitze hinauf zu ziehen und noch ein bisschen zu schlummern.  Die Zimmertemperaturen laden nicht dazu ein, mit Elan aus dem warmen Bett zu klettern. So langsam aber sicher macht sich Abend, Nachts und Morgens die Höhe bemerkbar: Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist, wird es empfindlich kalt und du kramst immer tiefer in deinem Rucksack, um mehr Kleidungsstücke zu Tage zu fördern, die in Schichten übereinander getragen werden können. In den Zimmern und ebenso in den Speise- bzw. Aufenthaltsräumen gibt es keine Heizungen. Dafür sorgt dein Guide dafür, dass es mindestens eine zusätzliche Decke für die Nacht gibt. Die Herberge in Namrung ist - was die Zimmer angeht - eine Bleibe, die du nur ungern verlässt. Das Zimmer aus Holz, einem großen Bett und drei Fenstern ist heimelig und du bist froh, dass ihr gestern Nachmittag die Gelegenheit hattet, bei Kaffee und heißem Tee die müden Knochen bei einem Schläfchen auszuruhen.  Aber - die Sonne lacht und es die Etappe verspricht einiges. Heute wirst du deinen ersten Achttausender zu Gesicht bekommen. Also - keine Müdigkeit vortäuschen und raus aus den Federn!

Auf der heutigen Etappe spürst du, dass sich die Mühen der vergangenen Tage gelohnt haben. All die Steinttreppen und die Schweißtropfen waren es wert. Das Landschaftsbild hat sich deutlich verändert: Die üppige, dichte und suptropische Vegetation wurde durch Nadel- und Laubbäume abgelöst. Immer mehr Flächen sind gar baumlos, sodass der Blick immer öfter in die Weite schweift und sich immer mehr weiße Gipfel in ihrer Pracht zeigen. Die Dörfer und Siedlungen sind stark vom tibetischen Buddhismus geprägt. Mani-Mauern, Chörten, kleine Stupas, Gebetsmühlen und Gebetsfahnen faszinieren dich und du zückst stets aufs neue deine Kamera, um diese Eindrücke für die Ewigkeit einzufangen.

In Nepal hält im Oktober und November (je nach Höhenlage) ebenso wie bei dir zu Hause der Winter langsam Einzug - Zeit für die Ernte. Da wo die kleinen Felder noch nicht abgeerntet sind, sind die Menschen am ernten. Heu wird zu riesigen Bündeln geschnürt und in Schuppen eingelagert. Getreide wird geschnitten und anschließend ausgeklopft. Die Körner werden in den kleinen Wassermühlen zu Mehl verarbeitet. Obst ist hier oben eine wahre Rarität. Die Freude ist groß, als an einem Teashop eine Schale mit "Mountain-Apples", kleine verknorkelte Äpfelchen, zum Verkauf steht. Davon wandern ein paar in deinen Rucksack. Der nächste und übernächste Porridge wird damit herlich aufgepeppt.

Neugierige und große Kinderaugen verfolgen dich auf Schritt und Tritt. Namaste (Hallo) rufen in Nepal schon die kleinsten der Kleinen. So wie "Chocolate". Du lächelst den Kindern zu und grüßt zurück. Schokolade hast du ihnen nicht mitgebracht. Wie fühlt es sich an, an diesen kleinen Geschöpfen vorbeizugehen, die so isoliert in dieser Abgeschiedenheit aufwachsen und bei jedem bunten Rucksack denken, dass sich in der Tasche am Hüftgurt ein Bonbon oder sonstige Süßigkeiten verbergen könnten? Es sind gemischte Gefühle. Welche Perspektiven und Chancen haben die Kinder, die hier oben aufwachsen? Erstaunt bist du, also du drei kleinen Rabauken ein Foto auf deiner kamera zeigst. Da berührt eine kleine Hand den Bildschirm und wischt nach links. Zum nächsten Foto bitte. Und zum nächsten. Woher kennen die Buben die Funktion? Wo das Leben zum Teil noch so "mittelalterlich" scheint, hat wohl auch ein Stück Moderne Einzug gehalten.

An einem besonders üppig mit Blumen blühenden Haus wird die Mittagspause eingelegt. Dhal Baht ist ok? Na klar! Wenn er hausgemacht und frisch ist, dann ist die Reis-Linsen-Curry-Combo wohl dein Lieblingsessen zum Mittag. Blauer Himmel, Sonnenschein, Ingwertee, Dhal Baht. Mit Blick auf die Berge. Der Traum eines jeden Berg- und Wanderfreundes.

Loh, ein für das Tal betriebsames Örtchen mit ca. 20 Gästehäusern und das Etappenziel für heute, liegt nicht mehr in allzu weiter Ferne und auf 3180 m Höhe. Es ist zeitiger Nachmittag und du bist froh, heute in Loh zu bleiben, denn das Panorama ist einfach phänomenal: Der Manaslu überragt mit seinem Doppelgipfel das Dorf; vor seiner schneebedeckten Flanke thront das Ribang Kloster auf einem kegelförmigen Hügel. Was für ein Kulisse!

Im Kloster leben etwa 150 Schüler, die aus ganz Nepal und Tibet kommen. In ihren dunkelroten Gewändern empfangen die Klosterschüler Besucher herzlich. Du beobachtest die Jungs, wie sie auf dem Innenhof eine Arte Frage-Antwort-Spiel spielen. Ein junger Mönch erklärt, dass es zum kontrroverse Fragen bezüglich des Lebens geht und nicht darum, ob man das Mädchen im Nachbardorf hübsch findet. Nachdem du deine Schuhe am Eingang des Altarraumes ausgezogen hast, trittst du über die Türschwelle und bist umgeben von Räucherstäbchengewaber, einer unglaublichen Farbenpracht und Detailverliebtheit. Die vergoldeten Idole Chenresig, Buddha und Ringpoche haben ihren Platz am Altar. Eine für deine Ohren eigentümliche, recht unharmonische, matraartiges Trommeln und Rasseln erfüllt den Raum. Du nimmst Platz auf einem der auf dem Boden liegenden Sitzkissen und saugst die Atmosphäre auf. Ein junger Mönch kommt auf dich zu und mit dir ins Gespräch: Er erzählt, dass der Grundstein für das Kloster erst vor gut zwei Jahrzehnten gelegt wurde. Am Altar reicht er dir eine kleine Butterlampe. Für den guten Segen und einen Wunsch ans Universum. Mit einem kleinen Docht wird die Kerze entzündet, aus einer Flasche werden mit einer Art Feder noch ein paar Tropfen des heiligen Wassers über den Altar getreufelt. Auf eine erfolgreiche Passüberquerung und auf dass dein Körper den Strapazen gewachsen ist.

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