Es ist DER und auch dein großer Tag auf dem Manaslu-Trek: Der Tag, an dem sich entscheiden wird, ob die Tour rund um den achthöchsten Berg der Erde von "Erfolg" gekrönt ist oder nicht. All die Sorgen und Gedanken der letzten Tage sind wie weggepustet, als um 03:00 Uhr Nacht und in totaler Finsternis der Wecker klingelt. Es fällt dir zwar schwer, dich aus deinem Schlafsack und unter dem Deckenberg hinauszuschälen, aber du hast bereits gestern Abend die ersten Schichten deiner heutigen Wanderbekleidung angezogen, sodass "nur" noch Daunenjacke gegen Windjacke getauscht werden muss. Die Schuhe stehen am Fußende des Zeltes und sind vor Kälte und Frost ganz steif gefroren. Die Zeltwände sind von Rauhreif überzogen. Die Außentemperatur beträgt geschätzt minus zehn bis minus fünfzehn Grad. Mit der Stirnlampe auf dem Kopf und dick eingepackt, sitzt du beim Frühstück. Die letzten sich noch in deinem Gepäck befindenden Nüsse bereichern den Porridge und du hoffst, dass der bis hier in diese Höhe hinauf getragene Vorrat an Energieriegel, Schokolade und Erdnüssen dich bis zum heutigen Etappenziel bringen wird. Dann werden die Thermoskannen und dickwandigeren Wasserflaschen (eine Cola-Flasche eignet sich hervorragend) mit heißem Wasser als Proviant aufgefüllt. Ein Liter heißes Wasser kostet hier in der Höhe ca. 5 €. Ein für alle Wanderer notwendiger Luxus!
Bist du bereit? Ein letzter Blick ins Zelt um nix zu vergessen, Rucksack schultern, winddichte Handschuhe überziehen, Hände durch die Schlaufen der Wanderstöcke fädeln. Und dann? Geht es in alter
Gewohnheit des "Slowly, slowly" hinein in die tiefe Dunkelheit. Gleichmäßg durch die Nase atmen, gleichmäßig gehen. Schritt für Schritt. Die vergangenen zehn Tage haben dich auf die heutige
Herausforderung vorbereitet. Ein Tuch bis über die Nase gezogen um dich vor der eisigen Luft zu schützen, versuchst du so gleichmäßig wie möglich zu atmen. Es dauert eine Weile, bis du einen
guten Rhythmus findest. Der Blick ist konzentriert nach unten gerichtet auf den sich unaufhörlich schlängelnden und mit Steinen und kleinen Felsen unwegsamen Pfad, der sich beständig (aber zum
Glück nicht sonderlich steil) hinaufwindet. In regelmäßigen Abständen fordert dein Guide dich auf, einen Schluck Wasser zu trinken. Dankbar nimmst du das dampfende Becherchen entgegen und
schlürfst ein paar Schlucke. Deine Hände sind trotz doppelten Handschuhen kalt und auch deine Zehen wollen dauerhaft bewegt werden, um gefühlt "am Leben" zu bleiben.
Mit einsetzender Dämmerung offenbart Mutter Erde die Pracht des Himalayas und als die ersten Sonnenstrahlen die dich umgebenden Berggipfel berühren, dann kannst du nur staunen über das Schauspiel, welches dich auf deinem Weg nach oben zum Larke-Pass begleitet und dich von den Strapazen etwas ablenkt. Ein kleiner Teashop kommt in Sicht und die Beine bewegen sich ganz automatisch auf den im gleißenden Sonnenlicht liegenden Rastplatz zu. Ein Becher Ingwertee bitte. Und ein Energieriegel aus dem Rucksack. Obwohl es erst um sieben am Morgen ist, gönnst du dir auch ein großes Stück Schokolade und fühlst dich - obwohl der Pass noch etwa drei Stunden entfernt ist - dankbar und zufrieden. Jetzt wo die Sonne scheint und knapp die Hälfte des Aufstieges gemeistert ist, wird nicht mehr viel schiefgehen. Zuversicht macht sich breit und du genießt den Moment. Die dir mittlerweile bekannten Gesichter der anderen Trekker strahlen ebenso schon ein Fünkchen Erleichterung aus. Der höchste Punkt der Manaslu-Umrundung befindet sich in realistischer Nähe. Das nun kommende, aus großen und kleinen Blöcken und Schneefeldern bestehende Geröllfeld zehrt an den Kräften. Einen "Passweg" hattest du dir etwas breiter vorgestellt - hier ist ein Weg nicht immer direkt zu erkennen. Immer mit der nötigen Portion Balance, versuchst du, hier - kurz vor dem Ziel - nun ja nicht mehr umzuknicken. Dein Guide zeigt auf einen Grat, dahinter erhebt sich ein schneebedeckter Berg. Dieser Grat ist der Larke-Pass. Auf dem Grat sind kleine, sich bewegende Punkte auszumachen - andere Wanderer, die vor dir losgegangen oder dich bereits überholt haben. Das Ziel in Sicht bekommst du noch einmal einen Schub Motivation. Beim regelmäßigen Innehalten, Fotografieren und während der kleinen Pausen lässt du den Blick schweifen. Von der Nordwand des Manaslu schiebt sich ein gewaltiger Gletscher hinab, rechter Hand hängen ebenfalls weiß-blau leuchtende Eismassen von einem Gipfel ohne Namen herab. Der Himmel ist tiefblau und der Schnee und die Eisflächen der beiden kleinen Seen, die du passierst, glitzern im Sonnenlicht. Es ist etwas windig, aber die Sonne wärmt dich weiter auf. Schritt um Schritt, mit jedem Meter Stückchen höher. Noch ein gute halbe Stunde ... Du schaust immer wieder zurück und hinab ins Tal, in Gedanken lässt du die vergangenen Tage Revue passieren: Zehn anspruchsvolle Tage lang bist du im Tal des Flusses Budi Gandaki aufgestiegen. Hast unterschiedlichste Vegetationszonen durchwandert und dich an der verändernden, immer karger und kälter werdenen Landschaft gewöhnt. Der Gedanke und die Gewissheit, dass du das Tal wieder absteigen müsstest, solltest du es nicht über den Larke-Pass schaffen, schwang ab dem Moment mit, als dir die ersten Wanderer entgegenkamen, die wegen Krankheit oder Unwohlsein kehrt gemacht haben. Der Weg hinaus aus dem Tal führt hier nur in zwei Richtungen: Hinauf über den Larke-Pass oder viele Tage hinab zurück nach Soti Kola. Oder - im schlimmsten Falle - über den Luftweg mit dem Helikopter.
Nun bist du deinem Ziel so nah. Mit jedem Schritt werden die bunten Gebetsfahnen ein Stück größer und du kannst schon bald jede einzelne davon ausmachen. Und dann - hinter einem letzten kleinen Hügel, taucht das Schild mit den großen gelb-schwarzen Lettern auf: Larke-Pass, 5106 m. Du hälst bleibst stehen und hälst inne. Schließt kurz die Augen, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten (gelingt nicht) und wirst von einer unbeschreiblichen Freude und Glück gepackt. Du hast es geschafft! Es ist ein Geschenk, diesen Augenblick teilen zu können.
Du setzt den Rucksack ab, umarmst und dankst deinem Guide. Was dann folgt ist, eine ausgiebige Foto und Panorama-Pause. Gebetsfahnen aus allen Richtungen, Gruppenfoto, Selfie.
Nach knapp einer Stunde verabschiedest du dich vom Larke-Pass. Dein Guide warnt davor, zu lange hier oben zu verweilen - der Abstieg nach Bhimtang, dem heutigen Etappenziel ist noch weit (gut 1600 Höhenmeter geht es nach unten) und er prognostiziert, dass du die dünne Höhenluft und die Anstrengung wahrscheinlich später in Form von Kopfschmerzen und Erschöpfung zu spüren bekommen wirst. So beginnt der lange und steile Abstieg über eine Schutthalde. Du bist heilfroh, dass nur noch kleine Schnee- und Eisfelder zu queren sind. Die Steigeisen, welche dein Guide für den Fall der Fälle bereit hält, kommen heute nicht zum Einsatz. In kleinen und großen Serpentinen schlängelt sich der Pfad schotterig bergab. Mit der Überquerung des Passes offenbart sich in westlicher Richtung eine neue Bergkette - an Aussichten mangelt es also nicht. Neben Wanderern ist auch eine große Muli-Karawane in der Geröllhalde am Absteigen. Sie transportieren die Ausrüstung einer Expedition und werden von zwei jungen Nepalis, angetrieben. Die Burschen sind nicht zimperlich mit sich und den Tieren - im Laufschritt geht es bergab. Als dich die Mulis eingeholt haben und zum Überholen ansetzten, hast du dir zwar einen halbwegs sicheren Platz oberhalb des Pfades gesucht, doch die Kolonne teilt sich und strömt rechts und link an dir lvorbei. Für einen kurzen Moment bist du erschrocken, hälst die Luft an und hoffst, dass dich keines der Tiere anrempeln und umstoßen wird. Gegen ein Muli im Laufschritt hast du wohl kaum eine Chance. Die Situation geht glimpflich aus ...
Bald kommt der schon sehnsüchtig erwartete zweite Teashop, in dem es auch Nudelsuppe und gebratene Nudeln für müde Wanderer geben soll, in Sicht. Nudeln! Kohlenhydrate! Etwas Herzhaftes! Du merkst wie hungrig und durstig du bist und freust dich auf die Pause im Sonnenschein, nachdem du bereits soviele Stunden auf den Beinen bist. Im "Freiluft-Speisesaal" mit (wie könnte es auf dieser Etappe anders sein) Panorama-Blick nimmst du auf einer der Matratzen an einem kniehohen Tischchen Platz. Schuhe aus, Füße lüften, Beine austrecken. Was für eine Wohltat. Eine kleine Wandergruppe aus Süddeutschland, alle über 50, erzählt von ihren vergangenen Tagen. Gemeinsam ist man froh, über den Pass gekommen zu sein, jeder in seinem Tempo. Bis nach Bhimtang sind es noch weitere zwei Stunden. Der Weg wird breiter und ist deutlich angenehmer zu gehen, aber du merkst, dass bereits viele, viele Wanderstunden in deinen Beinen stecken. Vorbei an grasenden Yaks und einem kleinen Bächlein folgend geht es hinab. Die Sonne geht hinter den Bergen unter und Schatten legt sich übers Tal. Mit dem Schatten fallen auch die Temperaturen und du ziehst Handschuhe und Jacke wieder über.
Als sich die ersten Häuser von Bhimtang zeigen, bist du erleichtert. Und abermals überrascht: Die kleine Siedlung liegt auf einer 3500 m hohen Hochebene, die in östlicher Richtung vom Gipfel des Manaslu überragt wird. Dort wabern zwar dicke Wolken umher, aber es wird wieder einmal deutlich, wie klein die von Menschenhand geschaffenen Häuser in der Bergwelt des Himalaya sind.
Nach insgesamt 12 Stunden erreichst du heute erledigt und erschöpft, aber sehr zufrieden, Bhimtang. In einer heimeligen Lodge mit neu gebautem Cottage, bekommst du heute ein gemütliches Zimmer mit Bergblick. Nach einer kurzen Pause und dem Versuch, deine Haare einigermaßen gesellschaftsfähig zu machen (deine Mütze hast du seit dem Verlassen von Samdo am vorgestrigen Tag nicht mehr abgesetzt - Haare kämmen ist mal wieder nötig, bringt aber nicht den gewünschten Erfolg und so setzt du die Mütze wieder auf), setzt du dich an den warmen Ofen im Speisesaal. Mit Tee, Frühlingsrollen, Momos (gefüllte Teigtaschen) und Suppe werden die Energiereserven zum Abendessen aufgefüllt. Die vorhergesagten Kopfschmerzen halten sich in Grenzen - es ist weniger der Kopf, als dein gesamter Körper, der nach einer ausgiebigen Pause ruft. So dauert es nicht lange, bis du in deinem Schlafsack liegst, die Augen schließt und einschläfst. Es wird wird wieder eine kalte Nacht werden, aber mit der heißen Thermoskanne am Fußende und der zusätzlichen Decke wirst du nicht frieren.
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