Der heutige Tag wird gänzlich anders. Zum ersten Mal seit zehn Tagen wirst du die meiste Zeit ohne deinen Guide unterwegs sein. Der Grund ist, dass es am Etappenziel in der Lodge in Dharamsala nur wenige Betten in Häusern gibt und ansonsten nur Zelte zur Verfügung stehen. Da du, wie schon erwähnt, keine Polarausrüstung den Berg hinauf trägst, kannst du dir eine Zeltübernachtung so gar nicht vorstellen. Es gilt das Prinzip "First come, first serve". Dein Guide wird somit in seinem raschen Tempo aufsteigen und sich hoffentlich gegen alle anderen Guides bei der Bettenvergabe durchsetzen. Ihr verabschiedet euch am frühen Morgen um kurz vor sieben. "Slowly, Slowly" geht es daher nun etwas ungewohnt nur zu zweit in den Wandertag. Heute gilt es, 550 Höhenmeter zu erklimmen und bis auf 4460 m hinaufzusteigen. Das Tal liegt noch im Schatten, du trägst zum ersten Mal über den dünnen Handschuhen auch die Windstopper und freust dich wie ein Schneekönig, das deine Wünsche bezüglich des Wetters gehört wurde: Es ist perfekt! Strahlender Sonnenschein kündigt sich an, es ist kein Wölkchen mehr am Himmel.
Nach der ersten halben Stunde wird das Gelände steil. Du bist sehr früh gestartet, nach und nach kommen alle anderen Wanderer hinter dir im Tal hinauf. Man überholt sich langsam, grüßend, mehrmals am Tag, da alle in regelmäßigen Abständen eine Pause benötigen. Der Weg führt nun direkt auf den Pass zu, der jedoch noch in sehr weiter Entfernung liegt. Auf dem gegenüberliegenden Hang präsentiert sich die Berge und Gletscherwelt zum Anfassen. Somit werden die Ruhepausen auch stets zu "Panoramapausen".
Die Höhe macht dir jedoch zu schaffen. Es ist zwar schön, seine Pausen nun gefühlt noch etwas freier planen zu können, der Rythmus muss jedoch gefunden werden. Kopfschmerzen plagen dich und auch deine Verdauung klappt nicht so wie gewünscht. Während dich nach und nach gefühlt alle anderen überholen, kommen erneut leichte Zweifel hoch. Wie weit ist der Weg noch ? Wird es mir wieder besser gehen ? Trinke ich ausreichend ? Warum sind die anderen schneller ? Ganz alleine wäre es an dieser Stelle schwer, ohne Höhenerfahrung seinen Körper hier richtig einzuschätzen. Zu zweit kann man sich zumindest austauschen und auch Mut zusprechen. Nach fünf Stunden erkennst du in der Ferne Zelte - bis nach Dharamsala ist es nicht mehr weit.
Dein Guide kommt dir entgegen, nimmt den Rucksack ab. Leider gibt es nur noch Betten in den Zelten. Enttäuschung kommt auf. Wird das nicht zu kalt ? Warum nicht in einem Haus ? Vor Ort, am Ziel in Dharamsala wird rasch klar: Alle Wanderer werden in dieser Nacht in den gelben Zelten schlafen, die kargen Steinräume werden nicht bezogen. Dein Guide versichert dir, dass es warm genug werden wird. Bettdecken können gegen ein kleines Entgelt ausgeliehen werden und nach etwas Räumerei sieht es in deinem Zelt tatsächlich wie eine gemütliche Schlafsack-Decken-Höhle aus. Du lässt dich auf die Matratze fallen und machst die Augen zu. Beobachtest deinen flachen Atem und das Pochen im Kopf. Und fühlst dich für einen Moment einfach nur hundeelend, obwohl "da draußen" Kaiserwetter herrscht. Dösen und Schlafen. Nicht mehr bewegen. Bevor dir dieser Wunsch erfüllt wird, musst du dich noch einmal aufrichten und eine Schüssel Knoblauchsuppe zu dir nehmen - eine pampige, mehlige, intensiv nach Knobi schmeckende Suppe. Und eine Tasse Ingwertee trinken. Sowohl Knoblauch als auch Ingwer helfen bei der Akklimatisation in der Höhe. Wohl bekomm's. Bei der Höhenakklimatisation sollen auch die in der in Nepal in jeder Apotheke rezeptfrei erhältlichen "Diamox"-Tabletten helfen. In Pokhara hast du dich mit diesen eingedeckt, sie befinden sich aber noch unangetastet in der Medizintasche. Dein Guide hält von medikamentöser Unterstützung nicht viel und auch du traust dem weißen Tablettenstreifen nicht so wirklich über den Weg und hast darauf verzichtet. Kurz denkst du darüber nach, ob sie dir wohl doch weitergeholfen hätten. Der Gedanke wird schnell verworfen. Eine herkömmliche Schmerztablette wird weiterhelfen.
Nach einer ausgiebigen Pause sieht die Situation um einiges besser aus. Du bist zwar sehr unsicher, als es heißt "Wir gehen zur Akklimatisation noch ein Stück hinauf", aber du vertraust auf die
Erfahrung deines Guides. Wenn das Hinaufgehen zu weiteren Kopfschmerzen und Unwohlsein führt, könnte es im schlimmsten Fall erforderlich sein, zurück nach Samdo abzusteigen und den Weg hinauf zum
Larke-Pass erst am übernächsten Tag anzugehen. Diese Vorstellung behagt dir nicht, sodass du - noch im Zelt liegend - tief durchatmest, zu deiner inneren Kraft betest und die Sorgen verdrängst.
Sei zuversichtlich! Du wirst es schaffen. Dein Körper kann so viel mehr leisten, als du ihm vielleicht selber zutraust. Gerade wenn es darauf ankommt. So folgt ihr langsam dem Weg, den es in
wenigen Stunden auch hinauf zum Pass gehen soll. Rechterhand erhebt sich wieder ein "Hügel", der sich für die Akklimatisation eignet. In kleinen Serpentinen und in gefühlt unglaublich langsamen
Rhythmus schraubst du dich nach oben und bist heilfroh, dass das von deinem Guide anvisierte Ziel erreicht ist.
Später zum Abendessen gibt es wieder Knoblauchsuppe (diesmal noch mehliger) und eine Schüssel gebratenen Reis. In einem länglichen aus Stein gemauerten Gebäude sitzen etwa 50 Wanderer an einer langgestreckten Tafel und du beobachtest, dass du nicht alleine bist mit deiner Mehlsuppe. Im Morgengrauen werdet ihr alle nach und nach aufbrechen in Richtung Gupfel. Dein Guide schlägt vor, bereits um 03.30 Uhr zu frühstücken und gegen 04:00 Uhr zu starten. Das gibt euch genügend Zeit, um den Pass rechtzeitig am Vormittag zu erreichen. Später frischt der eiskalte Wind wohl unangenehm auf. 03:30 Uhr klingt verdammt früh, aber in Anbetracht der Tatsache, dass du bereits um sieben in deiner Schlafsack-Decken-Zelt-Höhle liegst, die Augen schließt und auf den großen Tag wartest, auch nicht unmöglich.
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Pap´s (Dienstag, 12 Dezember 2017 16:27)
Himmel, was habt Ihr durchgestanden! Respekt vor soviel Durchhaltevermögen!