Wir freuen uns darauf, Peking zu verlassen, da wir beide das Gefühl haben, diese große Stadt nun für uns ausgiebig erkundet zu haben.
Aufgrund der beschriebenen Urlaubswoche waren wir froh, zumindest noch zwei Tickets zu unserem nächsten Ziel, der alten Stadt Pingyao, ergattert zu haben. Von dem sonst eigentlich sehr
umfänglichen Ticketangebot für die chinesischen Züge, waren wegen der Goldenen Woche leider nur noch eine Handvoll Tickets übrig, sodass sich die Frage, ob wir im Liegewagen (1. oder 2. Klasse -
soll relativ bequem sein) oder in der Holzklasse ("Hart Seater") reisen wollten, gar nicht aufkam: Wir standen nur vor der Entscheidung - Wollen wir nach Pingyao? Ja? Dann müssen wir die
Nachtfahrt in der Holzklasse auf uns nehmen. Gesagt getan. Wir haben diese Variante des Zug-Fahrens in China ausprobiert und können sagen: Die Fahrt war schrecklich. Zwar konnten wir zwei
Sitzplätze unser eigen nennen, aber haben dennoch kein fast kein Auge zugemacht - es war heiß, hell, laut und eng. Zu sechs sitzen waren aneinandergekuschelt in dem Waggon. Anjas Sitznachbar
macht sich (wie viele chinesische Männer) mit dem Zappelphillip-Syndrom (Experten mögen es restless-legs nennen) bei ihr beliebt, unser Gegenüber schlürft geräuschvoll einen großen Pott
chinesische Instant-Nudelsuppe. Es ist 1:00 Uhr morgens - egal. So eingeklemmt wie wir uns fühlen mögen - es geht auch noch schlimmer: Erstaunlicherweise verkauft die Chinsische Bahn in den
Hart-Seater-Abteilen auch Stehplätze, so dass nicht wenige Mitreisende auf mitgebrachten Klapphockern, die in den Gang gestellt werden, hocken oder schlicht stundenlang stehen. Nach neun sehr
langen Stunden Zugfahrt durch die schwarze Nacht kamen wir am Morgen gerädert und müde in Pingyao an. Wir schleichen über den Bahnhof und sind froh, wieder etwas Luft zum Atmen zu haben und
freuen uns auf eine Dusche, frische Kleidung und eine Portion Schlaf.
Eine kurze Taxifahrt, ein Fußmarsch durch die Altstadtgassen zum Hostel - wir waren in einer Seitenstraße mitten im historischen Stadtkern und ganz nah zum Trubel untergebracht. Pingyao wirbt mit
der best erhaltenen Stadtmauer und dem Charme des "Alten China". Das Marketing scheint zu funktionieren - Drosselgasse in Rüdesheim + Weihnachtsmarkt in Nürnberg + Karnevalsumzug in Köln =
Menschenmassen in Pingyao zur Urlaubswoche. Dennoch faszinierte uns die Stadt, sowohl vom historischen Aspekt als auch vor allem mit den kulinarischen Möglichkeiten. In den kleinen,
unrestaurierten Nebengassen bekam man ein Gefühl, wie es früher einmal war und spät Abends waren auch die Hauptgassen "betretbar" und wunderschön beleuchtet.
Wir genossen es an den Straßenküchen vieles zu probieren - zu wie immer mehr als moderaten Preisen.
Kulturbanausig wie wir sind, haben wir uns die teure Eintrittskarte für die Stadtmauer und die Tempelanlagen gespart, es sei hier nur der Vollständigkeit erwähnt, dass man diese in Pingyao
natürlich dort auch intensiv erkunden kann. Nach zwei Tagen und einer Nacht stehen wir wieder am Bahnhof: Tschüss Pingyao - auf nach Xian. Wir sind erleichtert, für die nächste Strecke im
modernem 300km/h Schnellzug reisen zu können. So verfliegen die 500 km wahrlich wie im Flug.
Angekommen in Xian (ca. 23:00 Uhr) suchten wir gefühlt 1 Stunde mit dem Rikscha-Fahrer nach unserer Unterkunft, da sich diese ein kleines Spiel daraus machte, auf den Karten von
booking.com, maps.me und google überall unterschiedliche Adressen anzuzeigen. Am Ende fand man sie in einem Hinterhof, im dunklen Treppenhaus, 2 Etage, wo dann auch ein Schild angebracht war -
wir wissen nicht, warum es China den Reisenden hier so schwer macht, aber es zerrt schon an den Nerven. Umso erleichterter sind wir, als uns gegen Mitternacht ein junger chinesischer Mann die Tür
zum Hostel öffnet und uns willkommen heißt.
Xian bietet uns zwei geschichtliche Highlights : Wieder eine Stadtmauer sowie natürlich diese Tonkrieger, wo ein paar in der Erde verbuddelt waren.
Die Stadtmauer erkundet man am Besten mit dem Fahrrad, da sie insgesamt 14km lang ist. Leider haben uns die absolut unverschämten, lauten, rücksichtslosen, desinteressierten Fahrradverleiher auf
der Mauer die Fahrt etwas vermiest, da die Räder im sehr schlechten Zustand waren und man auch nicht wirklich daran interessiert war, uns bessere Räder zu geben - wie so oft in China -
Massenabfertigung und ja nicht aufmucken. Die Fahrt über die Mauer war dann auch nicht wirklich spannend, da man hauptsächlich die Hochhäuser von Xian drumherum betrachtete.
Wieder mehr in unserem Element waren wir Abends - die china-typischen "Bell-Tower" und "Drum-Tower" waren toll beleuchtet und die Straßenküchen im muslimischen Viertel wirkten auf fast orientalisch.
Der folgende Tag stand ganz im Zeichen der Krieger. Zu unchristlicher Uhrzeit starteten wir mit dem öffentlichen Bus zur Terracotta-Armee und wurden positiv überrascht: Aufgrund der Urlaubswoche
öffneten sie bereits um 8:00 Uhr die Tore, so dass wir ohne Schlange-stehen und Gewusel unkompliziert zu den Ausstellungshallen kamen. Im Sommer 1974 stieß der Bauer Yang Zhifa beim Hacken für
einen Brunnen auf ein Hindernis. Ein tönerndes Etwas mit einer Öffnung - vielleicht ein Wasserkrug ? Es war jedoch eine der größten archäologischen Sensationen des 20. Jahrhunderts. Der
vermeintliche Krug entpuppte sich als Schulterteil einer Figur - die 2000 Jahre alte Terracotta-Armee, die den ersten Kaiser von China bewachen sollte, war gefunden. Yang Zhifa bekam einen
Finderlohn von umgerechnet 4€ und einen halben Arbeitstag angerechnet. Später arbeitete er im Museum mit. Leider taucht sein Name nicht mehr häufig auf, meist wird nur kommuniziert "Bauern fanden
die Armee". Er ist nun pensioniert und sagte 2014 während eines Besuches von Bill Clinton: "Ich bin doch nur ein einfacher Bauer".
Nun stehen wir auf diesem ehemaligen Feld. In einer mächtigen Halle. Insgesamt sollen es 7268 Krieger sein, die das Grab in voller Montur bewachen. Wir versuchen erst gar nicht zu zählen,
sondern betrachten diese Ausgrabungsstätte erstmal still. Noch längst sind nicht alle Krieger ausgegraben, was unter anderem daran liegt, dass sie, sobald sie aus der Erde geborgen werden, sofort
dem Verfall ausgesetzt sind. Ehemals waren die Krieger kunstvoll bunt bemalt, allerdings zerstört die Luft und das Licht die Farbe in wenigen Minuten. Über die Jahrtausende (!) hinweg haben
Bodenbewegungen und Wasser dazu geführt, dass die Krieger in Scherben in den Bodenschichten liegen. Yang Rangrong, eine fröhliche 59jährige Frau ist eine derjenigen, die diese Puzzle-Teile wieder
zusammenfügen. Normalerweise benötigen die Frauen für einen Krieger mehrere Tage, manchmal klappt es aber auch schneller. Fast alle Figuren, vor denen wir nun stehen sind durch Frau Rangrongs
Hände gegangen und haben alle unterschiedliche Gesichtszüge.
Sogar die langsam eintrudelnden Chinesen sind mal relativ still und treten dem Esemble mit Respekt entgegen. Die Zeit verfliegt und nach drei Hallen und zwei Austellungen sind wir einigermaßen geschlaucht, aber wirklich froh, hier gewesen zu sein. In den nächsten Jahrzehnten möchten die Chinesen die Grabkammer des Kaisers hier in der Umgebung öffnen und alles noch stärker touristisch erschließen - wir sind froh um die kleinen, persönlichen Geschichten, die wir nebenbei recherchierten.
Wir sind am Ende froh, mit Pingyao und Xian zwei für chinesische Verhältnisse kleinere Städte erlebt und kennengelernt zu haben, freuen uns aber umso mehr wieder auf die Natur der kommenden Tage. Nach langen Recherchen, Abwägungen und Vergleichen haben wir uns für einen langen Trip in den Süden Chinas entschieden - den oft grauen, versmogten und kühlen Norden möchten wir hinter uns lassen.
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